Esotera: "Der Buddhismus-Boom" (1998)


In den letzten Jahren spricht man angesichts der steigenden Bekanntheit des Buddhismus im Westen immer wieder von einem „Boom". Steht dahinter - Ihrer Ansicht nach - eine real zunehmende Verbreitung oder handelt es sich eher um ein Medienphänomen?

Beides schließt sich nicht aus. Die Medien haben vor einigen Jahren den Buddhismus als Thema entdeckt und ihm damit zu einer breiteren Beachtung verholfen. Als „Boom" - ich möchte das in Anführungszeichen setzen - hat sich das in einer Vielzahl von Filmen, Fernsehreportagen, Zeitschriften- und Zeitungsartikeln niedergeschlagen, die bis in jede Arztpraxis Deutschlands gelangt sind. Der Höhepunkt dieser Entwicklung ist überschritten, weil jede Mode auf Kurzlebigkeit setzt und bald einer neuen Platz macht. Dennoch ist der Buddhismus in Deutschland präsenter denn je, weil es neben diesem sogenannten „Boom" einen deutlichen und anhaltenden Trend gibt. Immer mehr Menschen interessieren sich für die östliche Spiritualität und besonders für den Buddhismus. Und immer mehr Menschen sehen in ihm eine ernsthafte Alternative.

Worauf ist Ihrer Meinung nach die Anziehungskraft und die öffentliche Anerkennung hauptsächlich zurückzuführen, die der Buddhismus im Westen zunehmend genießt?

Viele Menschen sehen, das wirkliche Erfüllung in Besitz, Karriere oder Prestige nicht zu finden ist. Heute fehlt es an befriedigenden Antworten auf die existentiellen Erfahrungen wie Alter, Krankheit, Tod und Verlust. Wir spüren außerdem stärker die Sinnentleerung und die Orientierungslosigkeit unserer Zeit. Und dazu kommt, das viele von den überkommenen Religionen enttäuscht sind. Die Lehren des Buddha schließen hier eine Lücke.
Der Buddhismus hat eine Reihe von Eigenschaften, die ihn aus meiner Sicht besonders attraktiv machen. Da ist zunächst die Vielfalt von Möglichkeiten des Zugangs und der spirituellen Praxis: Der Buddhismus befriedigt intellektuell Interessierte ebenso wie solche, die eher kontemplativ veranlagt sind und meditieren wollen. Und er ist attraktiv für diejenigen, die sich im sozialen oder ökologischen Bereich engagieren wollen und für die Ethik und Moral eine große Rolle spielen. Dazu kommt die Wissenschaftlichkeit dieser Lehre, die Vertrauen braucht, aber besonders auf Wissen und nachvollziehbare eigene Erfahrung setzt. Besondere Anerkennung findet außerdem die Tatsache, das der Buddhismus nie (in einem negativen Sinn) missionierend war und in seinem Namen keine Kriege geführt wurden.

Neben den großen buddhistischen Leitfiguren tragen, wie schon früher, Künstler und Prominente wesentlich zu dieser Bekanntheit bei. Wie bewerten Sie diese Tatsache? Wie viel ist da Show, wie viel ist echte buddhistische Lebensführung?

Das wird erst die Zeit deutlich machen. Buddhistin oder Buddhist sein heißt, sich auf einen Weg der Übung und der Vervollkommnung zu begeben. Und der ist lang, ein ganzes Leben lang. Warten wir also einmal ab, wer von den Prominenten dabeibleibt und sein Leben verändert. Man darf außerdem nicht alle über einen Kamm scheren, ihre Motive können durchaus verschieden sein. Der eine sieht sich sicher ganz gern in einem exotischen Mäntelchen und legt es bei passender Gelegenheit auch schnell wieder ab, wenn es dem Image nicht mehr nutzt. Die andere glaubt subjektiv tatsächlich, Buddhistin zu sein, bloß weil sie eine Buddhastatue zu Hause stehen hat, ab und zu ein Räucherstäbchen anzündet und Meditation ganz entspannend findet. Und ernsthaft Praktizierende gibt es gewiss auch. Die werden das allerdings nicht allzu sehr an die große Glocke zu hängen.

Was kann der Buddhismus dem westlichen Abendland geben? Welche Gestalt wird er Ihrer Meinung nach annehmen müssen, wenn er im Westen breiter Fuß fassen will?

Der westliche Mensch hat immer versucht, die Natur zu beherrschen und die materielle Welt zu gestalten. Der Buddhismus lehrt, nach innen zu schauen und mit dem eigenen Geist richtig umzugehen. Das dies viel wichtiger und mittlerweile geradezu überlebensnotwendig geworden ist, stellt sich immer deutlicher heraus. Seine tiefgründige Psychologie stellt das theoretische Rüstzeug, und seine lange Erfahrung mit Meditation liefert einen praktischen Ansatz. Auch ist die buddhistische Ethik progressiv und nachvollziehbar und wird deshalb nicht als Einschränkung, sondern als befreiend empfunden.
Der Buddhismus im Westen wird sich von dem in seinen Ursprungsländern unterscheiden. Schon deshalb, weil bei uns alle großen Schulen vertreten sind und ein intensiver Austausch stattfindet. Das hilft sehr bei dem notwendigen Bemühen, kulturell geprägte Erscheinungsweisen und authentische Lehre zu unterscheiden. Die Dialogbereitschaft mit Blick auf die anderen Religionen und die Wissenschaft ist ein weiterer wichtiger Punkt. Ein Buddhismus mit einem westlichen Gesicht kann zudem offener und (wieder) demokratischer sein als in Asien, und er wird sich verstärkt im sozialen und gesellschaftlichen Bereich engagieren. Außerdem haben die Laien auf absehbare Zeit ein größeren Gewicht als die Ordinierten. Und last not least: Frauen werden auf allen Ebenen eine herausragende Rolle spielen.

 
 
Fragen von Michael Schaefer
erschienen in ESOTERA, Nr. 12/1998
      
 

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