Tibet Heute: "Tradition - Umstrittene Gruppen" (2001)

Wie wichtig findest Du es für Buddhisten, dass sie in einer überlieferten Tradition praktizieren?

Die Anbindung an eine Tradition halte ich für unerlässlich. Die Gefahr ist zu groß, sonst einen „selbstgestrickten" (westlichen) Buddhismus zu kreieren und darüber das Eigentliche, den Dharma zu verlieren. Es wäre auch nicht besonders klug, auf die unschätzbaren Erfahrungen zu verzichten, die in den letzten 2500 Jahren in den asiatischen Ländern gemacht wurden, und alles neu zu entdecken und auszuprobieren.
Doch hat der Buddha empfohlen, nicht der Tradition um der Tradition willen zu folgen, sondern sie an der Lebenswirklichkeit zu messen und diese zum höchsten Maßstab zu machen. Wie wir wissen, werden auch Irrtum und Illusion seit undenklichen Zeiten und oft mit großer Genauigkeit und viel Engagement weitergegeben. Auch Buddhistinnen und Buddhisten sind da nicht ausgenommen.
Eine kritische Auseinandersetzung mit der buddhistischen Tradition tut schließlich nicht zuletzt deshalb not, weil diese sich nicht eins zu eins in eine fremde Kultur übertragen lässt. Der Buddhismus hierzulande wird auf lange Sicht gesehen anders aussehen als in Asien. Verständnis und Praxis des Dharma haben sich auf ihrem Weg von Indien nach Tibet ja ebenfalls gewandelt.

Welche Kriterien müssen neue Gruppen erfüllen, wenn sie in die Deutsche Buddhistische Union aufgenommen werden wollen?

Da gibt es drei formale Kriterien, die zu erfüllen sind: Zunächst ist das Bekenntnis zur Lehre des Buddha und deren Verbreitung und Vertiefung gefordert. Eine Gemeinschaft muss zudem mindestens ein Jahr lang bestehen und außerdem wenigstens zehn Mitglieder haben. Wer diese Kriterien erfüllt, kann, muss aber nicht zwangsläufig aufgenommen werden. Wichtig ist darüber hinaus die generelle Einschätzung, ob eine Gemeinschaft „seriös" ist und den Willen und die Fähigkeit hat, mit den anderen freundschaftlich zusammenzuarbeiten.
Die Situation ist heute etwas unübersichtlicher als früher, weil es mittlerweile in Deutschland sehr viele und recht unterschiedliche Gruppierungen gibt, von denen zunehmend mehr die Mitgliedschaft beantragen. Oft ist es nicht einfach, sie angemessen zu beurteilen. In der DBU ist eine Diskussion in Gang gekommen, ob die genannten Kriterien noch den heutigen Ansprüchen genügen. Eine erste Konsequenz seitens der DBU besteht darin, dass wir uns mit der Aufnahme mehr Zeit lassen und genauer hinschauen wollen, wer und was sich hinter einem Antrag verbirgt.

Wie überprüft die DBU, ob die Anwärter auch tatsächlich nach den Kriterien arbeiten?

Zunächst kann man sich anschauen, wie eine Gruppe nach außen hin agiert. Man kann ihre Programme und Veröffentlichungen ansehen und daraus erste Schlüsse ziehen. Besser noch ist es, an Veranstaltungen, Seminaren, Vorträgen usw. teilzunehmen und vor allem die Verantwortlichen in ihrem konkreten Handeln kennen zu lernen und einzuschätzen. Eine weitere gute Hilfe ist zu wissen, zu welcher größeren „Familie" eine Gemeinschaft gehört, auf welche Traditionslinie sie sich beziehen und wer die Lehrer sind. Außerdem laden wir Vertreterinnen und Vertreter zu den DBU-Treffen ein, um einen gemeinsamen Eindruck zu bekommen. Tatsächlich aber sind alle diese Möglichkeiten letztlich nicht unfehlbar, und manchmal bleibt nichts anderes übrig, als den Leuten einen gewissen Vertrauensvorschuss geben. Bisher sind wir damit alles in allem ganz gut gefahren.

Wie soll sich jemand qualifizieren, der den Buddhismus unterrichtet?

Das kommt ganz darauf an, was jemand lehrt. Es ist ein Unterschied, ob jemand auf der intellektuellen oder wissenschaftlichen Ebene die Lehren und die Geschichte des Buddhismus vermittelt oder ob jemand als Dharmalehrer auftritt. Damit übernimmt er oder sie die überaus verantwortungsvolle Aufgabe, andere Menschen auf ihrem spirituellen Weg zu begleiten und anzuleiten. Die Ausbildung sollte immer möglichst hoch sein, gleich, ob sie das Wissen oder die charakterlichen und sonstigen Befähigungen angeht. In jedem Fall empfehle ich buddhistischen „Lehrern", die eigenen Möglichkeiten realistisch einzuschätzen, sich selbst und anderen gegenüber ehrlich zu sein und bezüglich der eigenen Rolle Zurückhaltung und Bescheidenheit an den Tag zu legen. Und nicht zuletzt: Jeder sollte sich selbst weiter auch als Schüler verstehen.

Die DBU erhebt nicht den Anspruch, wie ein „oberster buddhistischer Gerichtshof" zu sein. Wie sollte sie mit umstrittenen Gruppen umgehen? Was kann sie tun, wenn einzelne Gruppen oder Lehrer gegen buddhistische Prinzipien verstoßen?

Die große Chance der DBU ist, dass sie die vielen unterschiedlichen Gemeinschaften und Menschen miteinander ins Gespräch bringt. Das könnte übrigens noch viel intensiver geschehen und noch mehr inhaltliche Fragen und Themen einbeziehen. Inzwischen gibt es ein gewachsenes gegenseitiges Grundvertrauen, zumindest bei denen, die schon länger dabei sind. Das macht es möglich, sich auch einmal kritische Dinge zu sagen und unangenehme Dinge anzusprechen. So können diejenigen, die dieses Wagnis eingehen und sich der Mühe unterziehen, viel miteinander und voneinander lernen. Der andere - und gerade der aus einer unterschiedlichen Schulrichtung - kann mir ein guter Spiegel werden und mich für die eigenen Schwächen und blinden Stellen sensibel machen.
Ich plädiere nicht dafür, auftretende Konflikte und Auseinandersetzung in erster Linie administrativ zu lösen, sondern im Austausch und im kritischen Dialog. Im Dialog verändern sich alle Beteiligten, die DBU als Dachverband genauso wie ihre Mitgliedsgemeinschaften und die einzelnen Vertreter. Nur zur Erinnerung: Seit der Gründung der DBU im Jahre 1955 ist schon so manche „umstrittene Gruppe" von einst zu einer geschätzten Mitgliedsgemeinschaft geworden. Im äußersten Fall kann und muss die DBU aber durchaus auch eine Gruppen ausschließen, wenn sie dem Ansehen des Buddhismus ernsthaft schadet oder den gemeinsamen Grundkonsens verlassen hat und nicht wieder zurückfindet.

Wie geht die DBU mit Sektierertum oder religiösem Fanatismus in den eigenen Reihen um?

Beides hat in der DBU nichts zu suchen. Zu unseren Grundsätzen gehören Offenheit, freundschaftlicher Umgang miteinander und gegenseitige Achtung. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass vieles von dem bei unseren Treffen und Veranstaltungen zum Ausdruck kommt und sich in den letzten Jahren vertieft hat.
Ich bin mir allerdings sehr wohl bewusst, dass die DBU von Menschen getragen wird und nicht von Buddhas. Bei gegenwärtig 50 Mitgliedsgemeinschaften (Tendenz steigend) verwundert es nicht, wenn wir einer großen Bandbreite von Auffassungen und Verhaltensweisen begegnen. Natürlich ist das Miteinander nicht immer konfliktfrei. Wer aber bei der DBU tatsächlich mitarbeitet, kann auf Dauer gar nicht sektiererisch oder fanatisch sein. Wo es Ansätze in dieser Richtung gibt, kommen sie früher oder später auf die Tagesordnung. Ich erinnere mich an einen Fall, in dem eine gemeinsame Plattform nicht gefunden werden konnte. Damals hat eine Gemeinschaft die DBU wieder verlassen, weil sie sich nicht mehr zugehörig fühlte. Aber letztlich sind es nicht Gremien als solche, die Fehlentwicklungen verhindern. Der nötige Selbstreinigungsprozess kann nur gelingen, wenn es überall genügend Menschen gibt, die intensiv studieren und praktizieren.

Worin siehst Du die Rolle der DBU hier in Deutschland, wo die Vertreter der unterschiedlichen buddhistischen Traditionen aufeinandertreffen?

Ein zentraler Punkt ist die innerbuddhistische „Ökumene". In der Begegnung mit anderen kann ich viel über mich selbst lernen. Einzelne Praktizierende und Gemeinschaften können mit der Zeit herausfinden, was zum Eigentlichen des Dharma gehört und was seine kulturell und historisch bedingten Erscheinungsformen sind. Das ist wichtig, um herauszufinden, wie ein authentischer Buddhismus mit einem westlichen Gesicht einmal aussehen kann. Außerdem gibt es eine Reihe von Aufgaben, die gemeinsam besser oder überhaupt nur gemeinsam gelöst werden können.
Ein zweiter wichtiger Aspekt: In den letzten Jahren ist die DBU immer mehr zu einer beachteten Anlaufstelle für die nicht-buddhistische Öffentlichkeit geworden. Kirchen, Verbände, Medien, Einzelpersonen oder staatliche und gesellschaftliche Einrichtungen, die Kontakte und Informationen über den Buddhismus (in Deutschland) suchen, sind hier an der richtigen Stelle. Hier kann die DBU oft besser „den" Buddhismus repräsentieren als mehr schulgebundene Institutionen.

 
 
Fragen von Carola Roloff
erschienen in Tibet und  Buddhismus Nr. 2/2001


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