EINLEITUNG

Die Erfahrung des Todes bleibt keinem Menschen erspart. Sei es beim Sterben eines anderen, sei es am Ende des eigenen Lebens - sie kommt unausweichlich auf ihn zu. Und fast ebenso zwangsläufig wird ihm der Tod zur Herausforderung:

Er fordert seinen Intellekt, der um Verständnis eines kaum faßbaren Phänomens ringt. Was ist das - Tod? Wie kommt es, daß mein eigenes Leben irgendwann einfach aufhören soll, während ich bisher nur seine Kontinuität erfahren habe? Ist der Tod das Ende oder gibt es ein Danach? Wenn ja, was vergeht, und was existiert fort? Wie geht es weiter? Welchen Sinn macht es, die Menschen zu verlieren, denen ich tief verbunden bin? Ist der Abschied endgültig?

Da ist außerdem die Herausforderung für die fühlende und wollende Persönlichkeit, die den Tod als Bedrohung und eigene Vernichtung empfindet. Wie kann sie Sterben ertragen, da doch nur Lebenswille ist? Gibt es einen Ausweg, Hoffnung, Hilfe oder wenigstens hinlänglichen Trost? Wie kann ich überhaupt existieren, Pläne machen und für eine Zukunft arbeiten, wenn ein Ende unabdingbar ist?
Der Tod ist Teil der Unzulänglichkeit und der Leidhaftigkeit der Existenz. An ihm wird das Ausgeliefertsein an ein Erleben überdeutlich, dessen Gesetze wir nicht kennen und gegen das sich alles in uns sträubt. Wir können uns nicht damit abfinden und suchen nach einer Alternative.

Versunken bin ich in der endlosen Kette von Geborenwerden, Altern und Sterben und Wiedergeborenwerden, Altern und Sterben, in Leiden versunken, in Leiden verloren. O daß es doch einen Ausweg geben möge, um dieser Leidensmasse zu entrinnen.
(M 29, nach Debes: Meisterung, S. 330)


Die Tatsache der Sterblichkeit zwingt nicht zu Resignation und Hoffnungslosigkeit. Für tiefer Denkende ist sie immer Ansporn gewesen, den Geheimnissen des Lebens auf den Grund zu kommen und dessen Sinn zu entdecken, vielleicht sogar zur Meisterung des Daseins zu finden. Antworten haben Philosophie und Religion seit jeher geliefert: spekulative, dogmatische, begründete und unbegründete, partielle und umfassende; solche, die den Verstand, und solche, die das Gefühl befriedigen.Die Lehre des Buddha macht keine Ausnahme, sofern auch sie Antwort geben will. Sie behauptet jedoch, vollständig zu sein, auf Erfahrung zu beruhen und für jeden prinzipiell nachvollziehbar zu sein. Sie will Vernunft und Gemüt zufriedenstellen. Sie will Verstehen und praktische Problembewältigung ermöglichen. Sie will Leben und Sterben nicht nur deuten oder den rechten Umgang mit Sterbenden und dem eigenen Tod lehren. Sie macht darüber hinaus die Todlosigkeit zu ihrem eigentlichen Gegenstand: „Öffnet euer Ohr, das Todlose ist gefunden." (M 26, in Anlehnung an Schmidt)Eine kühne Behauptung ist das, mit der sich gerade der Europäer schwer tut. Allzu schnell reiht er sie in ein gängiges Raster ein und macht sie zum Ausdruck von irrationalen Hoffnungen und unerfüllbaren Wünschen oder einer überholten unwissenschaftlichen Betrachtungsweise. Sie gilt als bloße mythologische Vorstellung oder bildreiches Phantasiegebilde, besonders, wenn sie mit der Beschreibung eines nachtodlichen Daseins einhergeht. Dennoch erhebt der Buddha seinen unüberhörbaren Anspruch, erfahrene Wirklichkeit zu mitzuteilen. Ein Wissen, das in der Welt von großer Seltenheit ist, aber geeignet, alle Krankheit des Daseins zu heilen und den Tod völlig zu überwinden.

Ja, was man hier gar selten sieht,
Nicht oft erscheinen in der Welt:
Ein Erwachter - der bin ich,
Der beste Künstler, beste Arzt.

Ich bin das Heil, ich bin der Herr,
Zerstörer aller Sterblichkeit:
Die Feindschaft hab' ich ausgesöhnt
Und lächle heiter, fürchte nichts.
(Thag 830/831, in Anlehnung an Neumann)


Dabei wird im Westen die Fortexistenz ebenso bezweifelt wie die Karma-Lehre. Diese beschreibt die Gesetzmäßigkeit, mit der sich das Auf und Ab der Wesen von Wiedergeburt zu Wiedergeburt gemäß ihres Wirkens vollzieht. Wir können oft nur schwer akzeptieren, daß unser „Schicksal" nur die Wiederkehr des eigenen vergangenen Tuns ist, daß unser Denken, Reden und Handeln ein entsprechendes künftiges Erleben hervorbringen - ein „himmlisches" oder ein „höllisches", sei es in diesem Leben oder in einem nächsten.

Zweifel und Unverständnis ruft nicht selten auch das Unberührtsein des Buddha oder seiner Jünger vom Tod anderer Menschen, selbst Nahestehender, hervor. Wir sehen leicht unmenschliche Gleichgültigkeit und Mitleidlosigkeit, wo erhabener Gleichmut die Stelle der üblichen gefühlsmäßigen Bindungen einnimmt. Wir vermuten Kaltherzigkeit, wo vollendete Weisheit den begrenzten Blick auf das Vordergründige hinter sich gelassen hat und alle Scheinwirklichkeit entlarvt ist.

Bisweilen emphatischen Widerspruch erregt die Lehre des Erwachten von der Ichlosigkeit und der Substanzlosigkeit aller Daseinsphänomene. Hier sind wir im Innersten tangiert, fühlen erneut das bedroht, was uns ja auch der vermeintliche Tod nehmen will: unser Ich, unsere Persönlichkeit, unser Ego. Soll Todlosigkeit wirklich nur um den Preis erworben werden, daß wir unser Liebstes aufgeben? Kann der Tod tatsächlich nur auf Kosten unserer Individualität überwunden werden?

Der Erwachte hatte nicht von sich aus den Wunsch zu lehren. Wußte er doch nur zu genau um die Weltgläubigkeit der Menschen, um ihre Verblendung, ihr Verstricktsein mit Illusion und Täuschung (avijja). Nur wenige würden in der Lage sein, den Kern seiner Darlegungen zu verstehen, geschweige denn den Weg zur Todlosigkeit bis ans Ende zu gehen. Und das in einem Land und in einer Zeit, in denen religiöse Suche und spirituelle Praxis eine außerordentliche Rolle spielten - ganz im Gegensatz zu heute bei uns. Er lehrte gleichwohl, weil man ihn darum bat und weil es auch solche Menschen gab, die für seine Botschaft empfänglich waren.

Doch hat der Buddha seine Lehre nicht systematisch als Ganzes dargestellt. Seine Belehrungen erfolgten eher individuell, auf das Fassungsvermögen seiner Zuhörerinnen und Zuhörer zugeschnitten, an ihren Bedürfnissen und Problemen orientiert. So finden sich im Palikanon, der ältesten der uns überlieferten Sammlungen seiner Reden, keine zusammenfassenden Ausführungen über Tod und Transzendenz, wenngleich viele Texte dieses so elementare Thema behandeln. Das Folgende ist der Versuch eines Überblicks über die zahlreichen, sehr verstreuten Einzelaussagen. Dabei handelt es sich vornehmlich um eine durch möglichst viele Zitate belegte einführende Darstellung unter fast ausschließlicher Berücksichtigung der ursprünglichsten Quellen. Sie ist zugleich eine notwendige Vorarbeit zu einer historischen und kritischen Auseinandersetzung, die hier nicht geleistet werden kann.

Die ausgesuchten Worte des Buddha und seiner Nachfolger sind Themenschwerpunkten zugeordnet. In ihnen werden - ähnlich wie bei den Vier Heiligen Wahrheiten über das Leiden, seine Verursachung, seine Aufhebung und den Erlösungsweg - vier Leitfragen beantwortet:

Was ist das - Tod?

Wodurch ist er bedingt, was sind seine Ursachen?

Was sind die Bedingungen für sein Ende?

Welche praktische Vorgehensweise führt dahin?

Die Fundstellen sollen die Sichtweise des älteren Buddhismus authentisch vermitteln und weitgehend für sich selbst sprechen. Ihnen wird daher ein breiter Raum gewährt. Der weitere Text fügt die Einzelaussagen zu einer überschaubaren und verständlichen Einheit. Er zeigt die einzelnen Passagen wenn notwendig in ihrem Kontext und zieht Verbindungen zur Lehre des Buddha (dhamma) insgesamt. Das Vorverständnis des Autors und seine Interpretation gehen hier notwendigerweise mit ein. So verbinden sich darstellende und reflexive Elemente.

Vergleiche mit anderen Weltanschauungen und Religionen erfolgen wie auch die Gegenüberstellung mit den geläufigen Positionen der modernen Naturwissenschaften nur gelegentlich. Desgleichen liegen die Schwerpunkte der Betrachtungen bei den zeitlosen Aussagen des Buddha und weniger bei aktuellen Bezügen.


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