"Manchmal scheint es, als kehrten wir dorthin zurück, wo wir noch nie zuvor waren.
Als erinnerten wir uns an Worte, die uns noch keiner gesagt hat. Als fänden wir etwas wieder, ohne es je verloren zu haben."
Spurensuche
Lotusblätter
Nicht nur ein schöner Mann
Zeit ist nicht das Problem
Kurzbiografie
Kurzbiografie deutsch
Alfred Weil wurde am 16.2.1951 in Mörfelden bei Frankfurt am Main geboren. Er studierte ab 1969 in Marburg und Frankfurt, zunächst evangelische Theologie und Germanistik, später Erziehungswissenschaft, Psychologie und Politik. Nach dem Diplom mit Schwerpunkt Erwachsenenbildung 1976 und der Promotion zum Dr. phil. 1979 war er 25 Jahre hauptberuflich als europapolitischer Referent tätig. 2004 beendete er diese berufliche Tätigkeit, um sich ganz der buddhistischen Lehre zu widmen. Seit 1976 ist er mit der Biologin Dr. Marion Weil verheiratet.
Ab 1973 führten ihn ausgedehnte Reisen vor allem nach Südostasien. Indien, Nepal, Thailand, Birma, Indonesien und Sri Lanka hatten es ihm besonders angetan und ermöglichten die ersten Begegnungen mit dem Buddhismus. Seine intensive Auseinandersetzung mit dem Dhamma begann 1979. Seit dieser Zeit fühlt er sich auch selbst als Buddhist.
In Deutschland waren Paul Debes und dessen engsten Schüler und Mitarbeiter Dr. Hellmuth Hecker, Dr. Fitz Schäfer und Ingetraut Anders-Debes seine wichtigsten Lehrer. Das von ihnen vermittelte Verständnis der Lehre auf der Basis des Palikanon wurde für ihn maßgeblich.
Beeinflusst war Alfred Weil auch durch das Wirken des Ehrwürdigen Nyanaponika Mahathera, den er noch zwei Monate vor dessen Tod in der Forest Hermitage in Sri Lanka besuchte.
Meditative Erfahrungen sammelte er seit Mitte der Achtziger Jahre bei der Ehrwürdigen Ayya Khema. Seine weiteren Lehrer kamen vorwiegend aus Sri Lanka und Myanmar wie etwa Godwin Samararatne, Rewata Dhamma, U Pandita und U Sonaka.
Von 1993-2001 Alfred Weil der Vorsitzende der Deutschen Buddhistischen Union (DBU), dem schulübergreifenden Dachverband deutscher buddhistischer Zentren und Vereinigungen. Von 1990-2002 war er Mitherausgeber beziehungsweise Mitglied der Redaktion der "Lotusblätter", der führenden buddhistischen Zeitschrift in Deutschland. In den Jahren 2006-2015 kümmerte er sich um das allgemeine Bildungsprogramm des Dachverbandes. 2003 wurde er zum Ehrenrat der DBU (Honorary Member oft the Council ? DBU) ernannt.
Verschiedenen Gremien des interreligiösen Dialogs gehörte er als buddhistischer Vertreter an.
Seine Vortrags- und Seminartätigkeit begann Weil Mitte der Achtziger Jahre. Mit seinen Vorträgen erreichte er interessierte Menschen an Schulen, Universitäten, kirchlichen und anderen öffentlichen Einrichtungen. Aber schwerpunktmäßig war er natürlich in buddhistischen Zentren und Gruppen im deutschsprachigen Raum, die er regelmäßig besuchte.
In Laufe der Jahre sind zudem zahlreiche Veöffentlichungen erschienen. Neben rund 150 Beiträgen in Büchern, Zeitschriften und im Rundfunk war Alfred Weil Autor und Herausgeber mehrerer Bücher. Darunter "Morgenröte in heller Tag", das der mit ihm befreundete Verleger Raimund Beyerlein herausgebracht hat. Über seine Website sind mittlerweile viele Publikationen (auch Hörbücher) ebenfalls zugänglich.
Heute konzentriert sich Alfred Weil auf die Betreuung kleinerer buddhistischer Kreise, in denen eine längerfristigere, intensiverere und persönlichere Beschäftigung mit dem Dhamma möglich ist. Sein Bemühen ist es, sich selbst die Pali-Texte immer tiefer zu erschließen und sich auch praktisch an ihnen zu orientieren.
ENGLISH VERSION
Alfred Weil was born on 16 February 1951 in Mörfelden (near Frankfurt) in South-Western Germany. As from 1969, he studied at the universities of Marburg and Frankfurt, starting out in Protestant theology and German philology, later switching to the pedagogical and political sciences as well as psychology. Following his graduation (main subject: adult vocational training) in 1976 as well as his PhD in 1979, he worked 25 years as political advisor and personal assistant to a Member of the European Parliament. In 2004, he terminated his professional career in order to devote himself fully to the Buddha's teaching. Since 1976, he has been married to scientific biologist and university lecturer Dr. Marion Weil.
Since 1973, Alfred Weil has been travelling widely across the globe, developing a particular liking of Southeast-Asian countries. His travels to India, Nepal, Thailand, Burma, Indonesia and Sri Lanka proved to have a long-lasting impact on his world view, as they brought forth his very first encounter with the Buddhist tradition. In 1979, he began studying the Dhamma seriously and in-depth. Ever since, he has felt himself to be a follower of the Buddha's teaching.
Alfred Weil's most important Buddhist teachers in Germany were Paul Debes and his three closest collaborators: Ingetraut Anders-Debes, Dr. Hellmuth Hecker and Dr. Friedrich Schäfer. Their approach to and expounding of the Dhamma, which are based on the Pali Canon, have had a major impact on Alfred Weil's own understanding of the Buddha's teaching. Another crucial influence on him were the life and works of the renowned Buddhist monk Nyanaponika Mahathera, whom Alfred was privileged to meet in the Forest Hermitage (Sri Lanka) only two months before the Venerable?s death in 1994. In terms of meditation practice, Alfred Weil's main teacher was the Venerable Ayya Khema, with whom he had started "sitting" in the mid-80s. His other meditation teachers came mainly from Sri Lanka and Myanmar and included Godwin Samararatne, Rewata Dhamma, U Pandita und U Sonaka.
Between 1993 and 2001, Alfred Weil was Head of the Buddhist Union of Germany (DBU), which is the non-denominational umbrella organisation of all Buddhist centres and schools in Germany. Between 1990 and 2002, he co-edited "Lotusblätter" ("Lotus Leaves", Germany's most prominent Buddhist periodical), while also serving as a long-time member of its editorial board, and from 2006 to 2015 co-ran the DBU's educational programme. He was appointed Honorary Member of the DBU's Council in 2003. Throughout those "most active" years, he represented Buddhism on various boards and panels in the interreligious dialogue.
By the mid-80s, Alfred Weil had begun lecturing and organising his own seminars on the Dhamma for any interested individuals at schools, universities, church organisations and other public institutions. It goes without saying, however, that he actually found his ?target audience? in Buddhist groups and centres in Germany, Austria and Switzerland.
Alfred Weil has published widely on the Dhamma over time. Apart from an estimated 150 articles in books and periodicals as well as radio broadcasts, he has both authored and edited several monographs, among them his main work "Morgenröte und heller Tag?" ("Red Sky at Dawn and Bright Light of Day"), which was published in 2006 by the German Buddhist publisher Raimund Beyerlein (incidentally the author's long-time personal friend). Alfred has meanwhile made available many of his publications (including audio books) via his own website.
Today, Alfred Weil focuses on heading smaller Buddhist groups, as these provide an adequate framework for the long-term, in-depth study of the Dhamma and may serve to inspire the participants to apply the Buddha's teaching in practice. As for himself, Weil remains committed to penetrating ever more deeply into the true meaning of the original Pali texts, as he is seeking to bring the Dhamma to fruition in his personal life.
(Englische Übersetzung von Mathias Weber)
Spurensuche | Mein Weg zum Buddhismus. Mein Weg zum Dharma.
Unbeantwortete Fragen
"Manchmal scheint es, als kehrten wir dorthin zurück, wo wir noch nie zuvor waren. Als erinnerten wir uns an Worte, die uns noch keiner gesagt hat. Als fänden wir etwas wieder, ohne es je verloren zu haben."
Ganz im Gegensatz zu vielen meiner Schulfreunde interessierte mich nie, wie elektrische Geräte funktionieren, was das Innenleben eines Autos ausmacht oder warum Flugzeuge nicht vom Himmel fallen. Die Fragen, die mich nicht in Ruhe ließen, bezogen sich auf das Leben und seine verborgenen Seiten, auf das Geheimnis dieser Welt und meiner selbst. Woher kommt das alles? Warum ist es gerade so, wie es ist? Und vor allem, was bedeutet es? Verstehen, Einblick, Wissen - das waren die Leitsterne, an denen sich mein Leben schon ganz früh ausrichtete. Ich wollte einen Überblick bekommen, das Ganze sehen, Zusammenhänge begreifen.
In jungen Jahren sprach mich deshalb ein eher breites Spektrum von Themen und Wissensgebieten an: die Natur und ihre Gesetze ebenso wie Sprachen und Literatur oder die Sozial- und Geisteswissenschaften. Von Philosophie und Religion erhoffte ich mir letztendlich am meisten, ihnen traute ich die tiefsten Einsichten zu. So begann ich zunächst mein Studium der ev. Theologie, wechselte aber aus mehreren Gründen dennoch bald zu Pädagogik, Psychologie und Politik.
Nie zweifelte ich daran, "im nächsten Semester" oder "nach dem nächsten Buch, Seminar oder Examen" der Erfüllung meiner Anliegen etwas näher gekommen zu sein, um sie am Ende vollends zu erreichen: der Beantwortung aller Fragen beziehungsweise der Lösung aller existentiellen Probleme. Leider war das aber nicht der Fall. Im Gegenteil. Mit jeder gefundenen Antwort taten sich nur noch mehr Lücken in meinem Geist auf. Hier war offensichtlich der Schlüssel zu der Tür ins Freie nicht zu finden.
Fremdheit
Mein intellektuelles Suchen kam indessen nicht von ungefähr. Ihm lag eine lange, unbestimmte und unbestimmbare Fremdheit dem Leben gegenüber zu Grunde, eine Art von existentieller Ungeborgenheit und Unzufriedenheit. Dabei hatte ich keineswegs eine unglückliche Kindheit. Im Gegenteil, ich wuchs in einer intakten Familie auf und hatte alle Fürsorge und Unterstützung, die meinen Eltern möglich war. Gerade, was meine Interessen und Bildungswünsche betraf.
Und dennoch war da ein Gefühl der Heimatlosigkeit, das Empfinden, noch nicht angekommen und wirklich Zuhause zu sein. Dass dieses menschliche Leben ein kostbares Geschenk sein sollte, das uns Gott in seiner Güte zugedacht hatte, verwunderte mich mehr als es mich erfreute. Das kann nicht schon alles sein!, dachte ich immer. Es muss doch noch etwas "dahinter" geben; etwas, das größer, freier, befriedigender ist und uns wirklich glücklich macht. Ein Leben wenigstens ohne all diese doch letztlich ziel- und sinnlosen Alltagsbanalitäten, ohne innere Rastlosigkeit und Unfrieden!
Aufbruch
Ließ sich eine Lösung für dieses Dilemma in der widersprüchlichen Vielfalt von Meinungen und Ansichten in dieser Welt aufzuspüren, wenn es sie denn überhaupt gab? Den Heuhaufen sah ich vor mir, wo aber war die berühmte und in diesem Fall so wichtige Stecknadel?
Als ich mein Universitätsstudium 1969 begann, war die stürmischste Zeit der 68er-Bewegung gerade vorüber, und die durch die Studentenbewegung angestoßenen politischen Auseinandersetzungen ebbten langsam ab. Ein zunehmender Teil der Jugend suchte die Revolution jetzt weniger auf der politischen Bühne als im eigenen Geist. Gesellschaftliche Unterdrückung und Ausbeutung schienen mit einem Male nicht mehr wichtiger als die verborgenen Tiefen des Bewusstseins. Marx und Engels blieben Ehrfurcht gebietende Größen, aber Freud, Jung und Adler hatten ebenfalls Entscheidendes zu sagen. Und die wirklichen Insider begannen von der asiatischen Philosophie und Religion zu schwarmen. So jedenfalls nahm ich es wahr.
In jenen Jahren machten sich die ersten Karawanen auf die beschwerliche Reise nach Asien, und auch ich war 1972 das erste Mal mit schulterlangen Haaren und Rucksack unterwegs. Zunächst führte die Tour über den vorderen Orient nach Afghanistan, Pakistan, Indien und Nepal. In den späteren Jahren kamen Thailand, Sri Lanka, Burma, Bangladesch, Malaysia, Singapur und Indonesien dazu, um die Stationen zu nennen, die mich in unmittelbare Tuchfühlung mit dem Buddhismus brachten.
Begegnungen
Besonders in dem für Ausländer erst Mitte der Siebziger zugänglichen Ladakh im Nordwesten Indiens kam ich aus dem Staunen nicht heraus. Landschaft, Menschen und Klöster dieser Bergregion waren gleichermaßen atemberaubend - in jedem Sinn des Wortes. Natürlich werde ich nie die Maskentänze von Hemis vergessen oder die zaghaften und scheuen Blicke in das Innere der Klöster und Schreinräume.
Meine Frau und ich waren als "Touristen" mit Fotoapparat und neugierigen Augen angereist und in "Klein Tibet" voll auf unsere Kosten gekommen. Aber was hatte es mit diesem Amerikaner auf sich, dem wir im Kloster von Spituk begegneten und der sich unverhofft vor einer dieser äußerst seltsam anmutenden Gestalten an der Wand zu Boden warf und seine Verbeugungen machte? Verstand der etwa, was diese bizarren Malereien zu sagen hatten? Und vor allem, bedeuteten ihm diese Figuren persönlich etwas? Ersteres konnte ich mir vorstellen, Letzteres (noch) nicht.
Unvergessen werden mir sicher auch unsere Reisen durch Südostasien bleiben, wo neben Thailand und Sri Lanka das "Lieblingsland des Buddha", Burma, den nachhaltigsten Eindruck hinterließ und mich mit dem Theravada bekannt machte. Zu den frühen und ursprünglichen Formen des Buddhismus gewann ich im Laufe der Zeit schließlich eine tiefe Vertrautheit und Nähe und in der Folge mein eigentliches geistiges Zuhause.
Ajanta, Indien
Maskenfest im Kloster Hemis, Ladakh/Indien
Sanchi, Indien
Tikse, Ladakh/Indien
In Deutschland hatte ich da meinen Fehlversuch mit dem Autogenen Training bereits hinter mir. Das konnte doch auch überhaupt nicht funktionieren, so lange still zu sitzen und sich auf bestimmte Partien seines Körpers zu konzentrieren! Und dabei noch wahrzunehmen (oder sich einzureden?), wie die Arme schwerer und schwerer und Beine immer wärmer wurden? Bald danach war für einige Zeit Yoga angesagt. Das ging schon etwas besser, weil dieses Training mit mehr fassbarer körperlicher Aktivität verbunden war. Schade nur, dass die Absicht, doch möglichst schnell voranzukommen und wenigstens einige der verheißenen Ziele auf kürzestem Wege zu erreichen, in kaum geeigneten Hauruck-Übungen mit den entsprechenden Zerrungen und Schmerzen endete. Trotzdem erschien mir Yoga damals vielversprechender als die buddhistischen Lehren. Handelte es sich dabei offenkundig um eine durchaus zugängliche und handfeste spirituelle Praxis, während mir der Buddhismus bis dahin entweder als bloßer (ritueller) Kult oder als reine Philosophie begegnet war. Aber doch immerhin als eine Weltanschauung, die neue und weite geistige Horizonte zu eröffnen versprach. Und so begann denn meine intellektuelle Auseinandersetzung mit der buddhistischen Weisheitslehre.
Sicher, die heute kaum mehr überschaubare Vielfalt an Büchern gab es damals nicht. Dennoch waren eine ganze Reihe guter Veröffentlichungen zu den unterschiedlichsten Themen zu haben. Vor allem konnte ich sogar in meiner Muttersprache nachlesen, was der Buddha vor 2500 Jahren selbst gesagt und gelehrt hat. Ein Weihnachtsgeschenk - die fünf Bände der Angereihten Sammlung aus dem Palikanon - wurde 1979 der Ausgangspunkt meines "Studiums". Sofort empfand ich die intuitive Gewissheit, etwas ganz Großartigem auf der Spur zu sein, auch wenn ich nicht wusste, was das war. Die Energie, bis heute nicht nachzulassen und weiter und weiter zu fragen und zu forschen, rührte von dieser unverrückbaren Überzeugung.
Und jede weitere Bekanntschaft mit den Wahrheiten des Dharma festigte die Nähe zu diesem "Phänomen Buddha" und seiner Lehre. Hier war "jemand", der unzweifelhaft wusste, der frei war, der dem Leben und der Wirklichkeit mit vollkommener Souveränität gegenüberstand, der als Lehrer unendlich viel geben konnte und nichts dafür haben wollte oder für sich brauchte. Aus seinen Worten sprach für mich unmittelbare, von jedem Zweifel freie Erfahrung - über die naheliegenden und über die letzten Dinge. All das mündete schließlich in dem überraschten und stillen Eingeständnis mir selbst gegenüber: "Im Grunde meines Herzens ich bin ein Buddhist!"
Gemeinschaft?!
Naivität nimmt mitunter erstaunliche Formen an. In diesem Fall besonders. Dass ausgerechnet mir das passieren musste: als Europäer einer so großartigen, aber doch völlig fremden und für uns Westler sicher unpassenden Weltanschauung zu verfallen! Bestimmt war ich der einzige weit und breit, dessen war ich mir gewiss, und demgemäß behielt ich meine "Errungenschaft" zunächst einmal für mich.
Ende der Siebziger und Anfang der Achtziger war der Buddhismus in Deutschland gesellschaftlich gesehen noch keine nennenswerte und beachtete Größe oder gar so etwas wie eine Modeerscheinung, wie er es rund zwei Jahrzehnte später werden sollte. Aber dennoch brauchte man eigentlich nur die Augen aufzumachen, um zu sehen, dass keineswegs die Stunde Null des Dharma in unserem Land geschlagen hatte. Schon ein ganzes Jahrhundert zuvor hatten sich die ersten Männer und Frauen auf den Weg gemacht und manches in Bewegung gebracht.
Immer häufiger stieß ich auf deren Spuren und auf die ihrer Erben und Nachfolger. Ich fand heraus, wer sie waren, wo sie lebten und was sie taten. Bald knüpfte ich erste Kontakte und bemerkte zu meiner großen Freude und Erleichterung, wie viel an Vorarbeit von diesen Pionieren schon geleistet war, um den ersten Schritten von Neuankömmlingen Orientierung und Halt zu geben.
Mit einem Male waren auch meine Lehrer da, denen ich das Weitere und Entscheidende verdanke. Allen voran Paul Debes, der in Jahrzehnte langer Arbeit den Palikanon durchleuchtet und durchdrungen und vielen die Botschaft des Buddha mit seiner "Übersetzungsarbeit" zugänglich gemacht hat. Seine Einblicke und die Tiefe seines Verständnisses schienen mir immer unerschöpflich, und auf seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit gründet mein Verständnis des Dharma. Und Ayya Khema will ich nennen, über die ich den Zugang zur Meditation fand und die mir immer wieder einschärfte, dass man die Wahrheit letztlich nicht erlesen, sondern nur erfahren kann. Bei ihr habe ich gelernt, nach innen zu schauen, auf den eigenen Geist zu achten und ihn ruhiger und klarer werden zu lassen. Sie brachte mir bei, dass intellektuelles Verständnis notwendig ist, aber eben nicht alles.
Paul Debes
Ayya Khema
Im Laufe der Zeit waren es dann auch immer mehr Gleichgesinnte und Mitübende, denen ich auf Vorträgen, Seminaren und Retreats begegnete und deren Gesichtern bald vertraut und gern gesehen waren. Aus wenigen und verstreut lebenden buddhistischen Suchenden war mittlerweile ein Netz von Gruppen, Gemeinschaften, Initiativen und Zentren geworden. Fast zwangsläufig brachte mich dann meine "Vorgeschichte" als politisch und gesellschaftlich engagierter junger Mann zum "organisierten Buddhismus", der auf Bundesebene seit Mitte der 50er Jahre in der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) Gestalt annahm. Als Einzelmitglied trat ich diesem Dachverband Mitte der Achtziger Jahre bei, als die Buddhistische Gemeinschaft in der DBU (BG) gegründet wurde.
Mich sprach gerade der schul- und traditionsübergreifende Ansatz an beziehungsweise die Bandbreite der dort vertretenden Anschauungen und Erfahrungen sowie der Versuch, über die engen Grenzen des "eigenen" Verständnisses hinaus etwas Gemeinsames zu finden. Bei den vielfältigen Aufgaben einer solchen innerbuddhistischen Ökumene waren - wie es schien - einige meiner Fähigkeiten und Kenntnisse willkommen. Jedenfalls war meine Mitarbeit möglich, und von 1993 bis 2001 war ich sogar der Vorsitzende (Sprecher) der DBU. Zudem engagierte ich mich von 1990 bis 2002 als Redaktionsmitglied ihrer Zeitschrift "Lotusblätter".
Ein großherzoglicher Buddha
Je mehr ich mir darüber klar zu werden versuche, wie ich zum Buddhismus gefunden habe, umso mehr muss ich erkennen, dass dieses Finden noch gar nicht abgeschlossen ist. Und je mehr ich nach Spuren in der eigenen Vergangenheit suche, umso mehr zeigt sich, dass sie weiter zurück reichen als ursprünglich angenommen.
Lange konnte ich es mir nicht erklären, warum mich Abbildungen des Buddha oder Buddhastatuen von Anfang an so außerordentlich faszinierten und berührten. Wenn sie mir in den Tempeln und Pagoden gegenüberstanden, aber genauso als Fotografien in Büchern oder Zeitschriften. Diese Kunstwerke waren aus Stein, Bronze oder Holz, und dennoch strahlten sie etwas aus, das völlig jenseits von Form und Materie zu sein schien. Was war das für ein Lächeln, das die Buddhas in Meditationshaltung ausstrahlten? Woher stammte die erstaunliche Souveränität ihrer Erscheinung? Wie war ein derartig friedvoller Zustand in einer so friedlosen, oft feindseligen Welt möglich? Und: Woher kam die Vertrautheit mit diesen Figuren und die mit ihnen verbundene Sehnsucht: "So müsste man selbst sein!"
Aufklärung kam erst reichlich später und auf eine unvorhergesehene Weise. Als Kind hatte ich gelegentlich mit meinen Eltern auf dem Fahrrad einen Ausflug in das unweit meiner Heimatstadt gelegene Schloss Wolfsgarten bei Darmstadt gemacht. Der dazu gehörende Park war einmal im Jahr anlässlich der Rhododendron-Blüte für das Publikum geöffnet und zog die Menschen aus der näheren Umgebung an. Dort entdeckte ich als Erwachsener - und inzwischen Buddhist - unverhofft wieder, was mich in ganz jungen Jahren offenbar tief beeindruckt hatte: eine etwa lebensgroße Jugendstilplastik aus Stein, die einen meditierenden Buddha zeigte - mit europäischen Zügen! Der Großherzog Ernst Ludwig von Hessen hatte sie nach einer Indienreise bereits 1904 anfertigen lassen. Ein Kunstwerk, das seine Begegnung mit der asiatischen Kultur und dem Buddhismus dokumentierte, aber von seinen Landsleuten viele Jahrzehnte nur als exotischer Farbtupfer in unserer christlich geprägten Kulturlandschaft wahrgenommen wurde. Weder die blaublütigen Nachfahren des Großherzoges noch die Bewohner der Region konnten mit jener seltsamen Figur etwas anfangen. Für mich jedoch wurde gerade dieser Buddha ein entscheidender Wegweiser.
Die Teile eines Puzzles
Eher unbewusst als gewollt, wurde diese frühe Erfahrung zu einem Kristallisationspunkt. An sie knöpfte sich alles Weitere an, und mit den Jahren begann sich aus den vielen einzelnen Puzzlesteinen von Besorgnissen und Hoffnungen dem Leben gegenüber, von Ahnungen und Erwartungen an die Zukunft, von Annäherungen und Begegnungen mit dem Buddhismus sowie von Bemühungen und Erfahrungen in der spirituellen Praxis ein immer deutlicheres und vollkommeneres Bild abzuzeichnen.
Im Buddhadharma fand ich das, was ich intuitiv gesucht hatte und was meinen (letztlich sehr hohen) Ansprüchen genügte: Den "Buddha" empfand ich als eine "Autorität", zu der ich volles Vertrauen fassen und für dessen Aussagen ich mich ohne innere Zweifel und Vorbehalte öffnen konnte. In seiner Lehre fanden Spiritualität und Wissenschaftlichkeit zueinander, "Glaube" und "Wissen" waren nicht länger sich ausschließende Gegensätze. Eine überzeugende Darstellung unserer Lebenswirklichkeit und eine umfassende spirituelle Praxis ergänzten sich. Zudem versprach die dazu gehörende systematische Schulung des Geistes in der Meditation eigene religiöse Erfahrungen, über die sonst nur gesprochen wurde. Am meisten jedoch haben mich die bestechende Klarheit und die unübertroffene Tiefe des Dharma und seine befreiende Qualität zu gewinnen vermocht, für die ich keine Parallele kenne.
Vom Buddhismus zum Dharma
Mein Weg zum Buddhismus
Erschienen in Dagmar Doko Waskönig (Hrsg.): Mein Weg zum Buddhismus.
Deutsche Buddhisten erzählen ihre Geschichte,
Bern 2003 (O.W. Barth)
Wie oft haben wir das schon erlebt: Wir sind für etwas Feuer und Flamme, und nach kurzer Zeit schon können wir uns unsere einstige Begeisterung selbst nicht mehr erklären. Wie blass wurde mir jedenfalls schon manches, was mir einst am Herzen lag oder sogar lebensnotwendig schien. Ganz anders in diesem Fall. Je länger ich "dabei" blieb, umso fester wurde mein Vertrauen, umso stetiger meine Praxis und selbstverständlicher mein Bezug zum Buddhismus ganz allgemein.
Und doch stimmt das nicht ganz, denn das eine oder andere an "Buddhistischem" habe ich inzwischen ebenfalls hinter mir gelassen. Vielleicht ich bin im sogar im Begriff, dem Buddhismus ganz den Rücken zu kehren. Aber keine Sorge, das hat nichts mit einem Sinneswandel, mit "Abfall" oder gar "Verrat" zu tun. Vielmehr geht es darum, soviel wie möglich an "Ismus" abzustreifen, unnötigen Ballast und hinderliches Beiwerk aus dem Wege zu räumen, um Platz für das "Eigentliche" zu schaffen.
Wie ich zum Buddhismus fand? Aus dieser Perspektive betrachtet, bin ich wieder dabei, ihn zu entdecken - wirklicher vielleicht oder tiefer. Etwa indem ich versuche, trennschärfer auseinander zu halten, was die buddhistische (und asiatische) Kultur ausmacht und was die zeitlose Wirklichkeits- und Weisheitslehre des Erwachten; zu unterscheiden, was über den Buddhismus geschrieben, gelehrt und gedacht wird, und was die authentischen Aussagen des Buddha selbst beinhalten; was intellektuelles und abstraktes Wissen "über" den Dharma ist und was das Eintauchen in dessen Realität, die Umgestaltung des eigenen Lebens und des eigenen Herzens bedeuten.
Bei diesem Prozess der Umorientierung halfen und helfen die Enttäuschungen, von denen es in all den Jahren natürlich ebenfalls manche gegeben hat und geben musste. So hatte ich schlicht und einfach zur Kenntnis zu nehmen, dass Buddhistinnen und Buddhisten in aller Regel eben keine Buddhas sind, sondern Frauen und Männer mit allen ihren erfreulichen und weniger erfreulichen Eigenschaften. Menschen eben, mit Stärken und Schwächen, die sich allenfalls anschicken, einen spirituellen Weg zu begehen, wie ich ja nicht minder.
Ich hatte mich damit auseinander zu setzen, wie schleppend sich die eigenen "Fortschritte" einstellten, wenn sie denn überhaupt sichtbar wurden. Hatte ich nicht schnell alles Wesentliche verstanden, einen guten Willen und genügend Elan? Eines konnte oder wollte ich offensichtlich lange nicht wahr haben: dass sich der menschliche Geist ein fernes Ziel setzen und darüber trefflich reflektieren und reden kann, aber dass damit ist noch kein Schritt wirklich getan ist. Wohl konnte ich die glanzvollen Ideale, von denen allenthalben die Rede war, bald zu den meinen machen, aber meine ganze Person mit all ihren verfestigten Gewohnheiten, Denk- und Verhaltensmustern konnte an sie doch nur millimeterweise und im Schneckentempo herankommen.
Alles folgt seiner eigenen Gesetzmäßigkeit, gerade spirituelles Wachstum. Welchen Bedingungen es unterliegt, hat der Erwachte in allen Einzelheiten aufgezeigt, und wie wir mit ihnen umzugehen haben ebenfalls. Umfassend, schlüssig, jedem nachvollziehbar und frei von Irrtum. Der Buddhismus kennt Meinungen, Standpunkte, unterschiedliche Überzeugungen, der Dharma nicht. Er ist die Wahrheit. Buddhistinnen und Buddhisten können sich täuschen, Fehler machen und straucheln. Ein Buddha nicht. Der Buddhismus hat sich im Laufe der Jahrhunderte schon oft und beträchtlich gewandelt und nicht selten bedauerliche Fehlentwicklungen durchlebt, die Grundwahrheiten des Dharma keineswegs. Den Buddhismus habe ich schon vor vielen Jahren gefunden, jetzt möchte ich dem Dharma näher auf die Spur kommen.
Lotusblätter | Ein Interview mit Alfred Weil
Interview in der Rubrik "Leute", Lotusblätter Ausgabe 3 2000
Seit 1984/5. Ich bin zu der Buddhistischen Gemeinschaft in der DBU (BG) gestoßen, als die Mitgliedschaft für Einzelpersonen möglich wurde.
Ja, jeden Morgen. Vier oder fünfmal im Jahr klappt es allerdings nicht, dann hole ich es meistens später nach.
Nein, noch nicht. Aber ich wünsche es mir.
Warum er sich so für Uhren und anderen technischen Schnickschnack interessiert.
Nein, doch esse ich immer weniger Fleisch. Einen Krampf will ich aus der Frage aber in keinem Fall machen.
Den Buddha natürlich.
Dass sie funktioniert.
Dass ich das Ganze sehen und Dinge verständlich darstellen kann.
Ungeduld und ungenügende Konzentration, auch wenn das vielleicht nicht so aussieht.
Natürlich. Ein Buddhist zu sein, soll das Leben doch einfacher machen und nicht komplizierter. Was können die anderen dafür, dass ich inzwischen eine andere Weltanschauung habe?
Gespannt nicht, eher ein bisschen besorgt. Überschätzen wir uns denn nicht alle ein wenig, was unsere guten Eigenschaften und unsere Fortschritte angeht?
Eine Wiedergeburt als Pandabär kann ich mir vorstellen, weil der so harmlos ist (hoffentlich!). Leider hat er wohl keinen allzu großen Durchblick. Das Dasein als Insekt wäre für mich der reine Horror, denn es scheint so unendlich weit entfernt von Einsicht und Wissen.
Im Himalaya. Der Berge strahlen für mich viel an Ruhe und Kraft aus.
Dass nichts anderes wirklich geholfen hat. Ich habe im Laufe meines Lebens schon viel probiert, ohne allzu großen Erfolg.
Mit der Vorstellung des Nicht-Ich. Das hat mich am Anfang schon erschreckt, war aber bei näherem Hinsehen wirkt der Gedanke immer befreiender.
Ich glaube ich bekam eine Eins. Ich hatte meinem Religionslehrer allerdings gesagt, dass ich sie gerne hätte, weil ich evangelische Theologie studieren wollte.
Ich würde meine Frau fragen und meine Bank. Die eine würde vermutlich ja sagen, die andere nein.
Geige. Man kann mit ihr die höchsten Töne spielen - völlig rein und klar.
Mich würde interessieren, wie der Betreffende aussieht, der sich das ausgedacht hat.
Er hat die Zukunft, die wir ihm geben. Allerdings scheint es mir, dass es viel mehr zu tun gibt, als wir selbst im Moment glauben.
Bei Cream oder bei Jimi Hendrix.
Landwirt ist meine Antwort. Die Naturnähe würde mir gefallen.
Nichts Zusätzliches. Ich würde die Zeit nutzen, um alles möglichst genau zu beobachten, ohne abgelenkt zu sein.
Ich würde die Rede halten. Es wäre für mich eine Herausforderung, so über ein langweiliges Thema zu sprechen, dass trotzdem alle zuhören.
Ich glaube nicht. Ich hätte zuviel Angst gehabt, erwischt zu werden.
Viele Hundert. Es werden aber immer weniger. Ich könnte mir vorstellen, dass es irgendwann nur noch ein einziges ist.
Alfred Weil | Ein Portrait von Sylvia Wetzel (Erschienen in Lotusblätter Nr. 3/2001)
Nicht nur ein schöner Mann
O-Töne über den hübschesten Sprecher, den die DBU je hatte: „Er ist immer cool geblieben, auch wenn die Wogen hochschlugen." „Er wirkt so nett und seriös." „Er hat wahnsinnig viel gelesen und kann sogar die Anfangsverse der Bibel auf Hebräisch rezitieren." „Ich glaube, er hat nie etwas vergessen, weil er immer alle Aufgaben in sein kleines gelbes Büchlein schrieb, und zwar mit Bleistift, nie mit Kuli." „Er war immer gesprächsbereit und hat nie jemandem die Tür zugeschlagen." „Er liest nicht nur viel, er ist auch ein vorbildlicher Meditierer. Ich glaube er sitzt tagtäglich mindestens eine Stunde." „Er kann nicht nur gut reden, er kann sogar zuhören."
Die vergangenen siebzehn Jahre haben die DBU grundlegend verändert. 1984 hatte der Generationswechsel die DBU erreicht. 1988 wurde die „neue" DBU aus der Taufe gehoben: Mit Räten und Sprecher/innen statt Präsidenten, und dem Status einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts im Visier. Der kleine Gesprächskreis mehrheitlich älterer Theravada-Buddhisten wuchs heran zum großen Dachverband, in dem „fast" alle historisch entstandenen buddhistischen Schulen, die in Deutschland existieren, mitarbeiten. Mit Ausnahme der meisten ethnischen Gruppierungen. Doch das ist ein anderes Thema. Den größten Teil der Zeit war Alfred Weil mit dabei.
Er war der „dritte Mann" an Sylvia Wetzels Seite, nach Karl Schmied (1984-88) und Hans-Rudi Döring (1988-90). Bei den großen Strategiediskussion der „neuen" DBU Mitte der achtziger Jahre - Körperschaft Ja oder Nein, Öffentlichkeitsarbeit, Aufgaben des Rates - war Alfred mit seinen klugen und sachlichen Beiträgen und seinem gewinnenden Wesen äußerst angenehm aufgefallen und 1990 in den elfköpfigen Rat gewählt worden und war er der natürliche Kandidat für die Aufgabe des Stellvertretenden Sprechers. Nach dem Rücktritt von Sylvia Wetzel aus dem geschäftsführenden Vorstand wurde er ebenso natürlich 1993 zum Sprecher der DBU. Insgesamt 11 Jahre hat er mit Charme, Sachkenntnis und einer fast unheimlichen Ruhe unterschiedliche Meinungen und Strategien in der DBU moderiert und umsetzen helfen. „Nebenbei" hat er mit großem Engagement auch noch tatkräftig in der Redaktion der Lotusblätter für gute Qualität und effektives Arbeiten gesorgt.
Alfred ist für mich ein buddhistischer Politiker im besten Sinn. Er ist weltklug und belesen, kann strategisch denken und hat das Herz auf dem rechten Fleck. Er weiß genau, daß es keine „einzigen Lösungen" gibt und man jedes Ziel sehr unterschiedlich angehen kann, abhängig davon, welche Menschen das tun. Eine hitzige Diskussion in der Redaktion der Lotusblätter kommt mir oft in den Sinn, wenn eine Situation festgefahren ist, und jede Seite felsenfest glaubt, eindeutig Recht zu haben. „Wer hat jetzt das größere Anliegen?" war Alfreds kurze Frage, die innerhalb weniger Minuten Raum für eine Lösung schuf. Auch die größten Sturköpfe verstehen, daß emotionale Aufregung auf etwas hinweist: auf Anliegen, die uns am Herzen liegen. Diese Verbindung von strategischem Denken und Feinfühligkeit für emotionale Prozesse machten Alfred zu einem idealen Moderator am Runden Tisch der deutschen Buddhisten. Es ist leider so: Selbst buddhistische Funktionäre fällen Entscheidungen nicht immer in Ruhe und mit einem „Halblächeln", auch wenn sie das üben und sogar lehren. Die Lektüre kluger Bücher und die Teilnahme an kurzen und langen Meditationsklausuren bewirkt nun einmal nicht zwingend emotionale Ausgeglichenheit, Einfühlungsvermögen und Offenheit für andere Einstellungen. Als erfahrener „Vereinsmeier" und mit allen Wassern gewaschener Politiker wußte Alfred das und, das war das besonders Schöne daran: Er haderte nicht damit. Er nahm die Menschen mit ihren Schwächen an und setzte seine Kolleg/innen nicht mit Sprüchen von einer heilen Welt unter Druck.
Weitere Pluspunkte: Alfred war ein guter Redner, seine Vorträge waren anregend, und er wagte auch den einen oder anderen Blick über den Tellerrand seiner Lieblingsschriften und -lehrinterpretationen. Etwas ungewöhnlich für gute Redner war seine Fähigkeit zuzuhören und Fragen zu stellen. Das findet man auch (oder gerade?) unter Buddhisten selten. Zwei Kritikpunkte fallen mir nach langem Nachdenken ein: Manchmal ging mir Alfreds Langmut zu weit. Manche heute noch bestehenden Knoten im Herzen der DBU hätten vielleicht mit dem Schwert harter Worte und Entscheidungen durchgehauen werden müssen. Manche Knoten lassen sich nicht geduldig und liebenswürdig „auffieseln". Doch auch für den vielseitigen Alfred gilt wohl: Jeder kann nur die Fähigkeiten einsetzen, die er hat. Zweitens: Ich habe den starken Verdacht, er versteht die Kritik vieler Frauen an den patriarchalen Strukturen des Buddhismus letztlich nicht. Er glaubt fest daran, daß der Kern der Lehren unbeeinflusst bleibt von Ereignissen in Zeit und Raum: von sozialer Ungerechtigkeit, Machtstrukturen und geschlechtsspezifischen Rollen und Vorurteilen. Damit befindet er sich in bester Gesellschaft. Doch seine liebenswürdige und freundliche Art machten es auch bei grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten recht leicht, wieder ins Gespräch zu kommen. Aufgeregte Auseinandersetzungen konnte er häufig mit einer humorigen Bemerkung oder einem Witz entschärfen. Wenn sie denn verstanden wurden, was leider nicht immer der Fall war.
Ein allerletzter Pluspunkt: Alfred war bei Sitzungen und öffentlichen Veranstaltungen nicht nur (meist) eine Ohrenweide, sondern immer auch eine Augenweide, ob im Kaschmirpulli oder im T-Shirt. Er ist einfach ein gutaussehender Mann. Dank an den hübschesten Sprecher, den die DBU je hatte. Wir wünschen Alfred die lang ersehnte Muße, die er sicherlich zu nutzen weiß: Hoffentlich nicht nur mit der Lektüre erbaulicher Schriften und langen Meditationsklausuren.
Diese Zeilen haben bei dem „Betroffenen" einen Wunsch und eine Frage provoziert: den Wunsch, tatsächlich einmal so zu werden (wo es sich denn lohnt)!, und die Frage, was denn wohl erst an seinem Grab gesagt werden wird? (A.W.)
Zum 70. Geburtstag | DBU Website (Aktuelle Mitteilung vom 16.2.2021)
Zeit ist nicht das Problem
Alfred Weil, langjähriger Vorsitzender und seit 2003 Ehrenrat der Deutschen Buddhistischen Union (DBU), wird heute, am 16. Februar 2021, 70 Jahre alt. Zwölf Jahre lang war er Redaktionsmitglied und Mitherausgeber der Lotusblätter, der Vorläuferin der heutigen BUDDHISMUS aktuell, und betreute bis 2015 das Studienprogramm der DBU. Der studierte Pädagoge, Politikwissenschaftler und Psychologe promovierte 1979 zum Dr. phil. und arbeitete danach 25 Jahre lang als europapolitischer Referent. Seit 1984 hält er Vorträge und Seminare zu buddhistischen Themen und ist Autor zahlreicher Publikationen und mehrerer Bücher. Zu seinem 70. Geburtstag hat „Der Freundeskreis Alfred Weil“ den folgenden Beitrag verfasst. Wir schließen uns der Gratulation mit den besten Wünschen an!
16.02.2021, red.
Raus hier (aus dem Samsara natürlich)!
Alfred Weil mit seiner Frau Marion
„Wenn die langfristige Orientierung auf das Ziel hin stimmt, ist Zeit nicht das Problem.“ Wie oft haben wir aus seinem Munde diesen Satz gehört, und wie prägnant bringt dieser Satz sein Lehrverständnis auf den Punkt! Und dieses Verständnis gibt Alfred Weil bereitwillig an jedermann und jede Frau weiter, der oder die ihm vertrauensvoll Gehör schenkt. Alfred lehrt uns den zeitlosen saddhammo, wie ihn der Erwachte und seine größten Schüler in den Pali-Reden darlegen: die niemals veraltende Wahrheit über die Existenz. In den mehr als vier Jahrzehnten seiner konsequenten Lehrnachfolge ist Alfred tief wie kaum ein anderer in die Lehre ein- und bis zu deren Kern vorgedrungen. So verständnisvoll und einfühlsam er auch als Mensch ist und so diplomatisch geschickt er als Pädagoge vom Fach vorgeht, so wenig lässt Alfred an diesem Kern Abstriche zu. Wohlfühl-Kompromisse gibt es bei ihm nicht. Seine einzigartige Gabe, die Lehre so zu erklären, dass wir die vom Buddha gelehrten existentiellen Gesetzmäßigkeiten in unserem Alltag wiedererkennen, wird von Alfreds warmem, feinsinnigem Humor getragen, mit dem er uns – oft schmunzelnd – das zunächst abstrakt wirkende Grundgerüst einer Pali-Begriffsreihe mit konkretem Leben füllt. Ungemein geduldig hat er uns mit der Zeit der rechten Ansicht näher gebracht und so manche Härte abgemildert, die wir selbst durch die überzogenen Ansprüche des Anfängers in unsere Lehrnachfolge gebracht hatten – nicht beachtend, dass sich ja die meisten Lehrreden an professionelle Asketen richten. Als lange in einem bürgerlichen Beruf tätig gewesener Haushälter kennt Alfred die wesentlichen Probleme des Nachfolgers im von digitaler Technik dominierten und auf Effizienz fixierten 21. Jahrhundert selbst nur zu gut. Seit mittlerweile fünfundvierzig Jahren ist Alfred mit der Biologin Dr. Marion Weil verheiratet, die sein Bekenntnis zur Lehre des Buddha teilt.
Paul Debes und dessen Mitstreiter:innen Ingetraut Anders-Debes, Hellmuth Hecker und Fritz Schäfer sind für Alfred die wichtigsten Lehrer geworden. Speziell in der Meditation schulte er sich ab Mitte der 1980er Jahre vor allem bei der Ehrwürdigen Ayya Khema. Seit 1987 meditiert Alfred einmal pro Tag – dies hatte er sich damals vorgenommen. Die Tatsache, dass er auch diesem Vorsatz bis heute eisern treu geblieben ist, bezeugt Alfreds bewundernswerte Disziplin, stillen Eifer, großen Ernst und Zielstrebigkeit. So ist er im Laufe nun schon vieler Jahre vor unseren Augen als weiser Lehrer stetig souveräner und als lieber Mensch immer ruhiger, gelassener und heiterer geworden.
Obwohl er sich selbst hierzu wohl lieber gar nicht und, falls doch, nur äußerst vorsichtig und verhalten äußern würde, haben wir Freunde keinerlei Zweifel daran, dass sich Alfred nach der Anleitung des Erwachten, die er so gründlich verstanden und ernster als alles andere genommen hat, auf dieser Durchgangsstation in denkbar bester Weise auf das große Endziel hin orientiert hat, das wir alle anstreben. Buddhistisch betrachtet ist Alfred heute aktiver denn je, da er in seiner beschaulichen südhessischen Heimat nun die Früchte seiner Praxis erntet. Nach wie vor leitet er seinen privaten Lehrredenkreis und hält alljährlich ein überregionales buddhistisches Seminar ab. Seiner abgeklärten Sicherheit in der Lehre, seiner verständigen Zuversicht auf alles, was da jetzt noch kommen möge, können Altern, Kranksein und Sterben sicherlich nicht mehr viel anhaben.
Dr. Alfred Weil, am 16. Februar 1951 in Mörfelden vor den Toren Frankfurts geboren, wird 70 Jahre alt.
Lieber Alfred, wir gratulieren DIR ganz herzlich zum Geburtstag – und zugleich UNS dazu, dass wir uns dich zum Lehrer und kalyanamitto erwirkt haben!
Der Freundeskreis Alfred Weil
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